Drei Erfolgsformeln für bürgerschaftliches Engagement junger Menschen
von: Manfred Walter, Landessekretär der ELJ
10.000 junge Menschen erreicht die Evangelische Landjugend (ELJ) in 180 bayerischen Dörfern. 1.200 von ihnen haben sich als aktive Bürger:innen commited, indem sie „ja“ zu einem definierten Ehrenamt in Gruppen, Gremien und Projekten des Verbands gesagt haben. Was sind die Faktoren für dieses gelingende Engagement? Auf Basis der Landjugendstudie[1] von Pühl und Ostermann führt dieser Text Erfolgsfaktoren in drei eingängige Formeln zusammen.
Landjugendgruppen sind Orte der Dorfjugend. Milieuübergreifend treffen sich hier junge Menschen zwischen 14 und 30 Jahren, in deren Identität ihre lokale Heimat eine zentrale Rolle einnimmt. Egal, ob sich die Landjugend im umgebauten Bauwagen, in kirchlichen oder kommunalen Räumen trifft – immer ist die Gruppe Ort und Ausgangspunkt bürgerschaftlichen Engagements junger Menschen. Sie bieten Angebote für die Freizeit, organisieren Feste und Dorfkultur und kümmern sich so um die Gesellschaft im sozialen Nahraum. Dr. Barbara Pühl und Reinhold Ostermann identifizierten in einer Studie mit 618 Jugendlichen aus 60 Landjugendgruppen Faktoren, die zum Engagement junger Menschen führen. Die ELJ hat die Ergebnisse in den letzten Jahren in pädagogisches Handeln umgesetzt.
[1] Walter, M. (2019)
1. Formel: Engagement = Spaß x Gemeinschaft
Die Gründe, warum sich junge Menschen in Landjugendgruppen engagieren, liegen im Innenverhältnis der Gruppe. Interne Dynamik und Interaktion spielen die entscheidende Rolle. Externe Faktoren wie Lage oder Ausstattung des Gruppenraums oder die Unterstützung durch Pädagog:innen sind dagegen zweitrangig. Die Aussagen der Jugendlichen lassen sich auf zwei Motivbündel zusammenfassen: Spaß und Gemeinschaft. Die beiden Faktoren bilden ein Produkt. Ist ein Faktor „Null“, bleibt auch das Ergebnis „Null“. Doch was ist darunter zu verstehen? Und: Wie lassen sich diese Motive für die konzeptionelle Arbeit nutzbar machen?
2. Formel: Spaß = Lachen + Selbstwirksamkeit + Grenzen dehnen
Den Begriff „Spaß“ zu operationalisieren ist eine schwere Aufgabe. Im Alltagsverständnis hat jede:r eine individuelle Deutung für diesen Begriff. Auch die Studie von Pühl und Ostermann liefert keine scharfe Abgrenzung. Wer jedoch mit den Ergebnissen konzeptionell arbeiten will, kann auf eine gemeinsame Deutung nicht verzichten. In der Aufarbeitung der Studie mit den Forscher:innen, dem pädagogischen Team der Evangelischen Landjugend sowie mit weiteren Fachleuten entstand ein Modell, das in diesem Text erstmals der Fachöffentlichkeit vorgestellt wird.
Wenn Jugendliche von Spaß in ihrer Landjugendgruppe sprechen, verstehen wir darunter einen dreifachen Wunsch, der für sie handlungsleitend ist: Sie wollen Lachen, Selbstwirksamkeit erleben und ihre eigenen Grenzen dehnen. Je mehr und je intensiver diese drei Motive erfüllt werden, umso größer wird die Bereitschaft sich aktiv in das Gruppengeschehen einzubringen.
2.1 Definitionen
2.1.1 Lachen
Lachen ist ein spontaner emotionaler Ausdruck. Menschen verbinden dabei stoßweise Atmung mit typischer Lautäußerung sowie lebhafter Mimik und Gestik, die zumindest den Oberkörper erfasst. Im Gehirn werden dabei körpereigene Neurotransmitter wie Dopamin und Serotonin ausgeschüttet. Gehirnforscher:innen[2] gehen davon aus, dass diese wiederum soziale Bindungen herstellen und stärken. Umgangssprachlich werden sie „Glückshormone“ genannt.
[2]Vgl. Manninen, S.
2.1.2 Selbstwirksamkeit
Selbstwirksamkeit ist die kognitive und emotionale Erfahrung, dass sich die eigenen Pläne tatsächlich verwirklichen lassen. Für den Partizipationsexperten Prof. Benedikt Sturzenhecker[3] ist die Lernerfahrung der Selbstwirksamkeit die Basis der Persönlichkeitsentwicklung.
[3]Sturzenhecker, B., Band 1, a. a. O, S. 64
2.1.3 Grenzen dehnen
Der Begriff „Grenzen dehnen“ steht für das anarchische Element der Gruppenarbeit. Er beschreibt sowohl die Erfahrung individuell neue Aufgaben und Möglichkeiten zu meistern (z. B. ein Projekt organisieren, erfolgreich flirten) als auch das Erleben gemeinsamer Flow-Zustände etwa in der Arbeit, beim Tanz oder im Rausch.
3. Formel: Gemeinschaft: Gruppe > Individuum
„Gemeinschaft ist eine Gruppe, die gelernt hat, über ihre individuellen Unterschiede hinauszugehen“[4]. Wo Gemeinschaft entsteht, entwickelt sie sich in vier Phasen: Kennenlernen, seinen Platz finden, Gemeinschaft erleben, Impulse oder Auflösung. Scott Peck nennt diese Phasen Pseudogemeinschaft, Chaos, Leere, Gemeinschaft. Für ihn sind Organisation und Gemeinschaft zunächst unvereinbar: Jede Gruppe sei nur „in dem Maße zur Gemeinschaft fähig, in der sie bereit ist, einen Mangel an Struktur zu riskieren.“ Wir lernen: Engagementförderung muss die Herzen der Menschen erreichen.
[4]Peck, S. (2019), S. 53
Diese drei Formeln gelten dabei sowohl für physische wie digitale Räume und tragen dazu bei, dass junge Menschen in der Landjugend Heimat und regionale Identität entwickeln. Denn: „Heimat“ ist die gelingende Beziehung von Mensch und Raum. Diese zu fördern ist die Mission der Evangelischen Landjugend.
Der Landessekretär der Evangelischen Landjugend in Bayern, Manfred Walter, hat einen weltweit einzigartigen Arbeitsplatz. Es gibt kein „so macht man das halt“.
In einem Team aus Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen handelt er so, wie er es zum Wohl der ELJ fachlich für richtig hält – In der Tradition eines Verbandes der seit 70 Jahren hervorragende Jugendarbeit macht.
Literatur
Manninen, S. et al (2017). Social Laughter Triggers Endogenous Opioid Release in Humans. The Journal of Neuroscience, June 21, 37(25): 6125 – 6131. Link
Peck, M. (2019). Gemeinschaftsbildung. Beetzendorf: Verlag Schloss Oberbrunn
Sturzenhecker, B. (2016). Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern. Band 1 und 2. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung
Zur Bonsen, M. & Maleh, C (2001) Appreciative Inquiriy. Weinheim: Beltz
Studie “Ihr Landjugend”
Walter, M. (2019). Ihr Landjugend – Wie macht Ihr das bloß? Zusammenfassung der Ergebnisse der Landjugendstudie 2015 von Reinhold Ostermann und Barbara Pühl. Pappenheim: ELJ
(Wegen Stellenwechsel und Erkrankung der Forschenden konnte die Studie nur in einer Zusammenfassung im Eigenverlag der Evangelischen Landjugend veröffentlicht werden.)
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Rahmen eines Projektes des Bundesverbands der Bildungszentren im ländlichen Raum. Er bezieht sich auf die Studienergebnisse von "Ihr Landjugend" von 2019.