Den Panzer der Provinz überwinden

Gendergerechtigkeit, Emanzipation und Feminsismus in der Landjugendkultur – eine Replik.

Abgehängte Männer, bevorteilte Frauen? Wie können Gendergerchtigkeit, Emanzipation in der Landjugend vorangebracht werden? Welche Fehler gilt es dabei unbedingt zu vermeiden? Ein Artikel von Johanna Niendorf über Antifeminismus im ländlichen Raum wirft Fragen auf – auch für Evangelische Landjugend.

Im Infopool Rechtsextremismus hat Johanna Niendorf vom Leipziger Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung einen lesenswerten Artikel veröffentlicht. Sie fordert darin politische Mitbestimmung und emanzipatorisches Engagement jenseits von etablierten Vereinsstrukturen. Doch auch in der traditionellen Landkultur liegen Potenziale für Gendergerechtigkeit, Emanzipation und Feminismus, wie Beispiele aus der Landjugendarbeit zeigen. Wenn daraus Spannung entsteht, tut dies auch den Verbänden gut. Ein Wort jedoch ist dabei problematisch. Wie Fehler vermieden werden und Kommunikation gelingen kann, beschreibe ich im Verlauf des Artikels.

Johanna Niendorf legt den Finger in die Wunde. Treffend beschreibt sie den vielfältigen Gender-Gap in ländlichen Räumen. Mehr noch: Es gibt Kräfte, die zielgerichtet an dessen Vergrößerung arbeiten. Als kirchlicher Jugendverband hat die ELJ die geistliche und zivilgesellschaftliche Aufgabe des Widerstandes, wobei ich es methodisch mit dem Wort des Schweizer Theologen Walter Hollenweger halte: “Die beste Kritik des Schlechten ist die Praxis des Guten.”

Den Panzer der Provinz überwinden – aber wie?

„Wir haben es nicht nur mit kognitiven Prozessen zu tun, sondern vielmehr mit Emotionen und psychischen Bedürfnissen, die eine antifeministische Ressentiment-Bereitschaft befeuern“, schreibt Johanna Niendorf. Menschen entwickelten eine „‘gepanzerte Affektdisposition‘, der sich nicht einfach nur mit Kritik begegnen lässt, sondern die der Ausbildung einer anderen emotionalen Haltung bedarf.

„Gepanzerte Affektdisposition“ – ein emotionaler Schutzschild gegen das Gefühl, kritisiert zu werden – für das eigene Leben, für Rollenbilder, für alte Gewohnheiten.

Antifeminismus entsteht selten aus Argumenten. Er entsteht aus Kränkung, Unsicherheit, dem Wunsch, dass alles so bleiben kann, wie es war. Ich würde gerne von dem Punkt kommen, dass Evangelische Landjugend für diese andere emotionale Haltung, die Johanna Niendorf einfordert, grundsätzlich gute Ressourcen hat. Diese Haltung verbindet ländliches Selbstbewusstsein mit Offenheit, Neugierde und Wertschätzung für Andere und Anderes. Sie öffnet auch emotional ländliche Kulturen für Gendergerechtigkeit, Emanzipation und Feminismus.

„Der Provinzialität ist nur durch Politik beizukommen, durch das Aufeinanderprallen von Differenz, in dem progressive Möglichkeiten aufscheinen und umgesetzt werden“, schreibt der Humangeograph Bernd Belina, den Johanna Niendorf zitiert. Die Landjugend hat in ihrem Mindset, ihren Handlungskompetenzen, ihrer Kultur und ihren Strukturen sowohl Positionen als auch Räume, um dieses „Aufeinanderprallen von Differenz“ zu gestalten. In der Struktur des integralen Modells von Ken Wilber möchte ich Ansatzpunkte dafür direkt an Beispielen aus meiner Arbeit aufzeigen.

Unser Mindset: “In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost…”

Der Angst, die dazu führt, dass Menschen „gepanzerte Affektdispositionen“ entwickeln, können wir mit Johannes 16, 33 entgegnen: „Wir glauben: dass zum Menschsein Angst gehört und dürfen vertrauen, dass Frieden die Angst überwinden wird.“ Können wir diesen Satz wirklich entgegnen? Diese Frage führt nach innen, zum Glauben, zum individuellen Mindset jeder handelnden Person. Wenn Johannes’ These „In der Welt habt ihr Angst“ richtig ist, führt der persönliche Weg nicht an unbequemen Fragestellungen vorbei. Was glauben wir wirklich? Wie gehen wir individuell und kollektiv mit der Wirkungsunsicherheit um, die all unserem Handeln innewohnt? Haben wir Räume, uns offen darüber auszutauschen?  

Unsere Handlungskompetenzen: Professionalisierung provinzieller Beziehungsarbeit

    Für Fachkräfte der Landjugendpädagogik gibt es kein Curriculum. Die Konzeption der Evang. Landjugend geG beschreibt ihre Tätigkeit als „pädagogische, theologische, kommunikative und organisatorische Begleitung selbstorganisierter Jugendarbeit auf Basis von § 12 SGB VIII”. Habitus und Handlungsmuster sind individuell und selbstverantwortet, immer auf das Ziel gerichtet, Eigenverantwortung und Gemeinschaftsfähigkeit junger Menschen nachhaltig zu fördern. Gendergerechtigkeit ist dabei satzungsgemäßes Ziel evangelischer Landjugendarbeit. Für ein konkretes Handlungskonzept, aus dem sich ein Kompetenzprofil der Fachkräfte für emanzipationsfördernde Beziehungsarbeit ableiten ließe, herrscht Entwicklungsbedarf.

    Unsere Kultur: Vielfalt fördern durch gelingende Kommunikation

      Landjugend ist in vielen bayerischen Regionen ein wichtiger Teil ländlicher Jugendkultur. Sie beinhaltet Traditionen, Geschichten, Aktionen, Engagement und Erlebnisse vieler Menschen. In der Kultur wird die Spannung zu Johanna Niendorfs Anliegen am stärksten spürbar. Der Begriff “Antifeminismus” schadet hier mehr als er nutzt. Dabei geht es nicht um Argumente, sondern um Emotionen. Wirksam ist der Klang der Worte, nicht ihr Inhalt.

      “Antifeminismus” markiert die Spitze dieser Spannung. In der Landjugendkultur ist die Gefahr erheblich, dass seine Verwendung direkt zum Rückzug hinter den emotionalen Schutzschild führt. Er ist politisch aufgeladen und polarisiert. Das mag zur Debattenkultur gehören – konstruktiv für die Landjugendkultur ist es nicht. Im Gegenteil: der moralische Rigorismus, der dem Begriff innewohnt, führt zum Widerstand, der wiederum denen nutzt, deren Ziel die gesellschaftliche Spaltung ist. Besser, weil wirksamer, ist, auch durch die Wortwahl, politische und weltanschauliche Vielfalt zu respektieren und den Fokus auf praktische Zusammenarbeit zu legen.

      Hollenwegers Wort von der Praxis des Guten bedeutet, kompetenzorientiert zu arbeiten, die Bedürfnisse aller Geschlechter sichtbar zu machen und Rollenmuster im konkreten Tun zu hinterfragen. Wir haben in der Evangelischen Landjugend gute Erfahrungen damit gemacht, Frauen in Leitungspositionen sichtbar zu machen, um ihre Vorbildfunktion zu stärken.

      Und: Die ELJ hat eine Frauenquote!

      Unsere Strukturen: Bitte nicht unterschätzen!

        In der Gemeinschaftskultur evangelischer Landjugend darf die Wirksamkeit von Strukturen nicht unterschätzt werden. Ein Beispiel: Frauen sind seit Gründung der Evangelischen Landjugend 1953 strukturell fest verankert – zunächst mit dem Amt der Mädchenvertreterin, seit 1977 durch quotierte Vorstandschaften. Auf allen Ebenen (Ortsgruppe, Kreis, Bezirk und auf Landesebene in der Evang. Landjugend in Bayern e.V.) wählen die Mitglieder satzungsgemäß jeweils eine Frau und einen Mann als Vorsitzende sowie als deren Stellvertretung. Aktuell sind 259 Menschen Vorsitzende in Ortsgruppen der ELJ, 147 davon männlichen, 112 weiblichen Geschlechts. Die Quote ist 57 % zu 43 % zugunsten der Jungs. Wenn wir berücksichtigen, dass die Mitglieder der ELJ zu 67 % männlich und zu 33 % weiblich sind, sehen wir, dass der Posten der (weiblichen) Vorsitzenden jungen Frauen ein erhebliches Maß an Mitbestimmung sichert.

        Die vorgestellten Dimensionen – Mindset, Handlungskompetenzen, Kultur und Strukturen – zeigen einzelne Ansatzpunkte, wie Evangelische Landjugend dem Antifeminismus im ländlichen Raum begegnen kann. Die ELJ macht mit ihren quotierten Vorständen positive Erfahrungen. Dennoch bleibt viel zu tun: Die theologische Reflexion muss mit praktischen Kompetenzen verbunden, kulturelle Angebote weiterentwickelt und strukturelle Maßnahmen evaluiert werden. Hollenwegers “Praxis des Guten” bedeutet für jeden Einzelnen ganz persönlich, kontinuierlich an diesen Punkten zu arbeiten und dabei differenziert auf die Vielfalt ländlicher Räume einzugehen. Der Artikel von Johanna Niendorf ist dafür ein guter Impuls.


        Niendorf, J. (2025). Abgehängte Männer, bevorteilte Frauen? Über Antifeminismus im ländlichen Raum. Bundeszentrale für politische Bildung: Infopool Rechtsextremismus. Link.

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